Harburg, den 09.07.2021

Jetzt ist es schon 2 Tage her, das die Orcas unser Boot attackiert haben, aber die Eindrücke sind noch immer so real, als habe sich der Angriff erst heute Nacht ereignet.

Was ist passiert? 3 ausgewachsene Orcas, einer fast so lang wie unsere Yacht, hatten uns angegriffen und das Boot mindestens 17 mal gerammt...aber lesen wir die Geschichte von Fred von Anfang an:

Wir:

Eigner Frank Besener (58) gelernter Kfz-Schlosser, Fuhrunternehmer und studierter Landwirt, hatte vorher 10 Jahre lang eine Beneteau 351 gesegelt. Diese hat er nur verkauft, weil seine Frau auf dem Boot Knieprobleme hatte. Wir sind unterwegs um sein neues Boot eine 37er zu überführen. Ohne ihre kaputten Knie hätten wir auch keine Orcas gehabt (O-Ton)...

Co-Skipper Heiko Tiedemann (56) selbständiger IT-ler, Segler und einer unserer Bootswarte bei uns in der Abteilung, ist zum ersten Mal auf dem Atlantik.

Skipper Fred Hermsdorf, auch Mitglied der Segelabteilung des FC St.Pauli mit über 100.000 geloggten Seemeilen im Kielwasser überführten im Auftrag von Yachtskipper.de eine Beneteau Oceanis 37 Limited Edition, Baujahr 2013 von Quiberon (sw Bretagne) nach Malaga.

Die 11 Meter große Yacht hatte erst einen Eigner, welcher alle Wartungsarbeiten in den letzten 8 Jahren von seiner Werft hat ausführen lassen. Auch ist die Yacht in diesem Zeitraum laut Log nur rund 4000nm bewegt worden. Dementsprechend war sie in einem guten Zustand. Nach Überprüfung der Yacht und deren Ausrüstung (es fehlte ein zweiter Anker und ein  Bordfernglas), führte ich eine zweistündige Sicherheitseinweisung durch und ließ mir diese von der Crew im Logbuch bestätigen. Weil ich von den Orca–Aktivitäten an der spanischen beziehungsweise portugiesischen Küste wusste, wurde die Notpinne und deren Montage peinlichst genau überprüft. Auch wurden die verschiedenen Möglichkeiten einer Notsteuerung besprochen.

Am 29.08.2021 passierten wir vollgetankt die Molenköpfe von Port Haliguen/ Quiberon. Wir setzten die Segel und schickten uns an, die Biskaya Richtung NW-Spanien zu queren. Der nächste Stopp sollte in A Coruna in Galizien sein. Bei meiner regelmäßigen Kontrolle aller Bilgen stellte ich fest, das wir Wasser nahmen. Nicht viel, aber immerhin. Die elektrische Bilgenpumpe machte pumpende Geräusche, saugte aber das eintretende Wasser nicht ab. Später fanden wir ein Rückschlagventil, welches völlig verschlammt war. Bis dahin pumpte also der Rudergänger regelmäßig den Bilgensumpf mit der Handlenzpumpe leer. Schließlich fand ich das Leck: Der Hydrogenerator hatte den Spiegel an der Rumpf-Spiegel Verbindung während der Fahrt auf ca 20cm geöffnet, da dieser zu dünn und damit zu schwach war, die Kräfte des Hydrogenerators aufzunehmen. Laut Manual sollte der Befestigungspunkt für Kräfte bis 300kg ausgelegt sein. Also liftete ich den Generator aus dem Wasser. Seitdem kam kein Wasser mehr ins Schiff. Wir wollten es dann in A Coruna mit Sikaflex abdichten...

Je näher wir der Küste von Spanien entgegen segelten, desto häufiger dachte ich an die Orcas. Denn die ersten Vollkontakte mit Orcas wurden hier 2020 vor der galizischen Küste reported. Unterwegs hatten wir schon 5 Orcas in Formation schwimmen sehen, aber sie waren auf etwas Wichtigeres als uns fixiert und schwammen in ca 300m Entfernung schräg an uns vorbei, in südliche Richtung.

Nach einer sonst entspannten Überfahrt mit NE-E Winden um 3-4bft, Code Zero wurde auch gesetzt, machten wir morgens um 03:00 am Tanksteg der Marina A Coruna fest und bunkerten  Diesel. Danach verholten wir zum Real Club Nautica, welcher näher an der Stadt lag. Dort legten wir uns noch für ein paar Stunden in die Kojen. Morgens das heiße Wasser der Duschen genossen, entspannt gefrühstückt und anschließend frischen Proviant und Schiffsbedarf erstanden. Unter anderem auch Sikaflex, womit wir den Heckspiegel abdichten wollten.

Für Nachmittags waren südwestliche Winde bis 5 bft gemeldet, wir liefen um 13.00 wieder aus. Da der Wind und die Welle stärker als angesagt war, unterbrachen wir, das kreuzen, und hielten auf Wind und Welle abdeckendes Land zu und legten uns vorm Strand von Laxe vor Anker. Heiko zauberte Lachs auf Bandnudelnester mit Currysosse und einen grünen Salat. Frank spannte den Keilriemen der Lichtmaschine nach.

23:00 Anker auf, der Wind hatte merklich nachgelassen und weht mit  BFT 2-3 aus Süd.

..Motoren durch die Nacht.. und immer dieses Wissen um die Orcas, die ja bekanntlicher weise von Galizien bis Gibraltar immer wieder für Meldungen sorgen. Mit dem Autopilot läuft die Yacht sicher ihren Kurs durch die Nacht. Ich vermeide es, mich hinter dem Steuerrad aufzuhalten oder gar zu setzen. Nur 2 dünne Sicherheitsdrähte trennen mich nach hinten von der See, welche durch das Schraubenwasser aufgewühlt ist. Das Hecklicht beleuchtet die vertraute Szenerie, war da nicht eine unübliche Bewegung im Wasser? Oje, hab ich schon Halluzinationen? Aber es war dann doch nichts..

Wie wird es sein, wenn sich die Wale nähern und das Boot rammen? Schnell zustoßend oder langsames Auschecken der Yacht? Meine Crew hatte ich immer wieder gebrieft, was zu tun sei, wenn es zu einem Orca-Angriff kommen sollte. Eine „Atlantic Orca Working Group“, bestehend aus 15 Wissenschaftlern, hat ein „Safety Protocol“ veröffentlicht, welches ich später befolgt hatte: Ruder loslassen, Motor aus, Segel runter, jegliche überflüssige Elektrik ausschalten, keine Aufmerksamkeit erregen.

Am 03.07.21 um 14:30 Uhr machten wir am Tanksteg der Marina Deportivo in Baiona fest. Nach dem Tanken schauten wir uns das Städtchen an, kauften Wasser und frische Lebensmittel. 17:00 legten wir wieder ab.

06.07.21

22:05 Gross weg, M+ COG 113° NNW3 nachlassend, Wache II Frank

07.07.21

Wache III Heiko 00-03

00:58 First contact

36°06.007'N, 006°00.260'W, 6nm sw von Barbate

RUMMS

Ich bin sofort hellwach. Etwas ist passiert.“ Heiko, was geht da draußen ab?“ schaue durch den Niedergang nach draußen und sehe, wie sich das Steuerrad mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit dreht. „ Orcas!“ seine Antwort. „Auskuppeln! Motor aus! Frank, drehe danach den Hauptschalter aus !“ Heiko hatte den Autopiloten sofort ausgekuppelt und versuchte sich am Motorpanel, den Motor auszuschalten. „Frank, warte!“ ich schaltete schnell den Motor aus, verfluchte diese sch.. Elektronik und Frank sorgte sofort für ein stromloses Schiff.

Funk , Echolot, Navilicht, alles aus. 

Kurzer Blick in die Runde, keine anderen Schiffe in der Nähe. Taschenlampe , Handfunke griffbereit im Gepäck... Dann sah ich sie, diese riesigen Finnen, über ein Meter hoch. Kurz darauf das nächste Ramming. Die Yacht machte abrupte, unnatürliche Bewegungen. Sie hatten uns umkreist. Man konnte ihren kraftvollen Blas nach jeder Attacke hören. Pause. Und dann wieder und wieder Stöße gegen das Schiff. Wir hatten uns mittlerweile im Salon verkeilt und warteten darauf, dass es den Orcas zu langweilig wurde und sie ihres Weges zogen.

Heiko hatte versucht, sie ohne Blitz zu fotografieren, was aber gründlich in die Hose ging. Es war kein Blitz, sondern fettes Dauerlicht aus seinem Hightech-Handy, und das gleich 2x. Ich zischte wütend: „Wenn Du das nochmal machst, werfe ich das Ding ins Wasser!“ Das wirkte. Er kam nach unten und verkeilte sich ebenfalls. Die Orcas setzen ihre Angriffe auf unser Boot fort, jetzt hatten sie Gefallen daran gefunden, das Boot bis zu 50° zu krängen, indem sie den Kiel rammten. Es schepperte ziemlich im Boot. Hoffentlich meinen sie das nicht zu ernst, ging es mir durch den Kopf. Immerhin war der Niedergang noch offen... Ich hatte mir eine Decke über den Kopf gezogen, um kein verräterisches Licht vom Handydisplay aufleuchten zu lassen und schickte eine kurze Positions-/ Lagemeldung an befreundete Segler. Frank kam aus seiner Koje, verursachte ein Klappern am Herd und wollte wieder einen Kommentar zum Besten geben. Ich schickte ihn streng flüsternd wieder in seine Koje. Dort beobachtete er das Geschehen durch das kleine, offene Seitenfenster. Zufälligerweise blies der Wal gerade recht feucht ab und Frank wurde auch nass. Danach sah er diese riesige Finne. Der Orca drehte sich um die Längsachse und tauchte unter die Yacht . Frank wurde flau, als er die riesige Fluke sah. Der Wal sei so groß wie das ganze Schiff gewesen, meinte er andächtig.

Wir hatten 3 ausgewachsene Tiere gezählt, Länge ca 5-8m. Finnen über 1m hoch. Sie wirkten sehr überlegt in ihren Handlungen. Nach jedem Ramming tauchten sie auf, bliesen ab und verharrten einen Moment an der Oberfläche und es schien, als überlegten sie sich die nächste Aktion.

Nachdem 15 Minuten lang keine Attacken der Orcas stattfanden, testeten wir das Ruder. Puh, es fühlte sich noch an wie immer, Glück gehabt! Auch die Bilge war trocken geblieben. Ich startete den Motor und ging zurück auf alten Kurs, Richtung Tarifa. Vorsichtshalber fuhr ich mit veränderter Drehzahl weiter. Es blieb spannend. Würden Sie uns weiterziehen lassen, oder spielen Sie nur ein grausames Spiel mit uns? Doch nichts von dem. Der Motor schnurrte und mit jeder weiteren zurückgelegten Meile fühlten wir uns sicherer. Wir redeten kaum. Jeder von uns war in seinen Gedanken, die um das Geschehene kreisten. Heiko hatte derweil seine Freundin informiert. Diese war schon vor Beginn der Reise in Sorge um ihn. „ Bitte bring mir meinen Heiko heil zurück!“ gab sie mir bei einem Vorbereitungstreffen mit auf den Weg. Sie ist Künstlerin und hat den Angriff in einem Acrylgemälde für sich verarbeitet.

Kurz darauf konnte ich ein Funkgespräch mitverfolgen: eine andere Yacht hatte MAYDAY wegen eines Orcaangriffs gefunkt. Die Küstenfunktstation gab Tipps zum Verhalten durch, unter anderem, das man das Ruder in Midships-Stellung arretieren solle.

03:00 Uhr Wachwechsel . Heiko verholte sich in seine Koje und meine Wache begann. Es waren noch ungefähr 35nm bis Gibraltar zurückzulegen. Dort wollten wir einen Tankstopp einlegen, da der Diesel dort nur 69 ct den Liter kostet. Zum Tagesanbruch bogen wir in die Bucht von Gibraltar ein und wurden mit einem dramatischem rotem Morgenhimmel begrüßt. Wir tankten, Frank kaufte günstig Corned Beef, Zigaretten und Spirituosen ein, und weiter ging es nach Belmandena, wo das Schiff aus dem Wasser gehoben werden und der Crewwechsel stattfinden sollte.

Dort angekommen, wurde die Yacht am nächsten Morgen per Travellift gekrant. Welch ein Erstaunen, als wir sahen, das vom Spatenruder das untere Drittel fehlte. Auch der Kiel war nicht mehr fest mit den Kielbolzen verbunden. An der Kielbombe konnte man viele, viele Spuren der Orcas feststellen...

Und – nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn der Hydrogenerator an dem dünnen Spiegel von den Walen abgerissen worden wäre...

Ich reportete den Vorfall noch bei orcaiberica.org, einer Gruppe von Wissenschaftler, die dieses Verhalten der Orcas erforscht .

P.S.: Später fragte ich meine beiden Mitsegler, wie diese bangen 30 Minuten für sie gewesen waren. Nein, Angst hätten sie überhaupt nicht gehabt. Höchstens Sorge um das Ruder…. Heiko meinte , seine allergrößte Angst war gewesen, dass ich sein Handy weggenommen und ins Meer geworfen hätte...

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