Der WX zeigt seit Tagen Flaute ab Samstagmorgen. Da ändert sich seit Donnerstag nichts. Ich habe mir geschworen, keine zweite Nacht durchzusegeln. Zwei Tage und eine Nacht müssen reichen, sonst breche ich ab. Wenn absehbar wird, dass ich nicht Samstag um Mitternacht wieder in Svendborg bin, breche ich ab. Außer, dass eine zweite Nacht ziemlich gefährlich ist, weil du halluzinierst, nicht mehr zuverlässig funktionierst, muss ich einfach Sonntag wieder in HH sein.
In Svendborg viele betont sportliche Segler. Es hat sich was geändert - viele Racer, Offshore und Minizirkus Prominenz, weniger Fahrtensegler. Über 300 Boote im Hafen. Die Seascape Flotte, 8 brandneue Dehler 30 OD, diverse JPK, Archambaults. Wegen Corona ist jeder mehr auf seinem Boot, Heiko und ich haben uns etwas abseits ins Päckchen gelegt.
Morgens, zwei Stunden vor dem Start, kommt ein durchgeknallter Schwede hektisch mit seiner winzigen Etap 21i längsseits. Er ist grad angekommen - mit Ruderschaden. Und fängt wie wild an, seine Ruderanlage mit Speedepoxi und Kabelbindern "do you have a hammer?" zu reparieren. Sein Start ist längs durch, aber er möchte hinterher. Er schwitzt wie Tier, bewegt sich hektisch, flucht, aber um 10:30 ist er fertig und ich kann zu meinem Start.
Start Keelboat Medium, die Grote Bim Bam ist das kleinste Boot der Gruppe aus 100 Startern. 5 Zentimeter zu lang für die Gruppe Keelboat small. Freitag 11:00 Uhr treiben 100 Boote mit 2kn Schiebestrom über die Linie - es ist eng im Svendborgsund. Ruderwirkung ist nur temporär und so treiben wir im Flautenramming aufeinander, versuchen die Boote voneinander abzudrücken und nicht auf Grund zu treiben. Die eine Stunde zuvor gestartete Gruppe Keelboat small ist auch noch zu sehen... Das ist schon mal ein ziemlich nervenaufreibender Start. Immerhin- die Sonne scheint und wir haben das so gewollt.
Am Ausgang des Svendborgsundes bei Troense dann endlich ein ganz leichter Wind - auf die Nase natürlich. Im engen Fahrwasser startet ein taktisches Kreuzen bis wir endlich Richtung Thurö Rev etwas abfallen können, das Feld sich entzerrt und mein innerer Streß etwas nachlässt.
Thurö Rev passiert, geht der Spi hoch. Diesmal traue ich mich, den symmetrischen Spi anstelle des Gennakers zu setzen. Wind ist dead down und da müssen die Gennakerboote kreuzen. Ich kreuze zwar auch vor dem Wind, einfach weil es schneller ist, trotzdem kann ich tiefer fahren. Die Einhand- Spihalsen klappen gut, kein FuckUp, das Boot läuft und ich versegele eine Dehler 30 OD und ein paar Seascape 27, die eine Stunde zuvor gestartet sind. (Ja, ist nicht deren Wind. Wir haben 8-12 Kn, deren Spaß fängt bei 16, 18 Kn an)
Es ist trotzdem sehr spannend zu sehen, dass die neuesten Rennkisten sehr unterschiedlich schnell sind. Wichtiger als das Boot scheinen, auch ohne Vergütung, die Segler. Hier laufen alte X79 und Impalas, eine Aphrodite 101 ganz vorne mit, weil deren Segler es einfach drauf haben und das Revier kennen.
Über Funk höre ich, dass Heiko vor Langeland unter Spi auf ein Flach gelaufen ist - Mist. Später wird klar, dass er, nachdem ihn ein Begleitboot vom Schiet gezogen hat, zurück nach Svendborg läuft. Das Risiko über Nacht ohne Untersuchung der Kielbefestigung ist einfach zu groß.
Zwischendurch rufe ich einem anderen Segler, der unter Gennaker nah aufschließt, beherzt "Raum!" in dem Bewusstsein auf BB Bug zu liegen, zu. Der fragt ganz cool "hat sich das geändert - ich dachte Lee vor Luv?" Oh Gott ist das peinlich - ich entschuldige mich und er fragt "willste nen Bier?"
Durch die Beltbrücke, ich nehme wegen dem Gedränge der unter Spi laufenden Boote einen Brückenbogen neben der eigentlichen Durchfahrt. Die Hauptdurchfahrt hat 16m, ich habe 13m Gesamthöhe. Der benachbarte Bogen kann nicht so viel tiefer sein - ich weiß es aber nicht. Egal, wir fahren da jetzt durch. (Jedes Jahr wird im Skippermeeting das Foto einer X79 gezeigt, die zu tief unter Land durch die dort flachere Brücke gelaufen ist, und deren Mast über der Saling abgeknickt war, weil es eben doch nicht passte). Aber es passt, obwohl es ganz kurz vorher überhaupt nicht so aussieht. Vor der Brücke habe ich immer richtig Bammel. Mein Horror war, unter Spi auf dem SB Bug in der Brückendurchfahrt anderen auf BB Bug ausweichen zu müssen und irgendwie auf dem Brückenpfeiler zu landen.
Hinter der Beltbrücke, noch vor Kerteminde, dreht der Wind um 180 Grad auf NW. Ich sehe, wie vorne die Spis runter gehen, die Boote an der Kreuz, während ich noch unter Spi laufe. Schnell die Blase weg, Genua raus, feinstes Amwindsegeln auf glattem Wasser. Es dämmert, Sonnenuntergang über Fünen, so schön! Und es fühlt sich nicht nach 8 Stunden am Ruder an. Eher nach eben gestartet.
Bei Romsö ist es fast dunkel, Das Meer der Positionslichter in der Dunkelheit ist beeindruckend!
Vor dem Flach nördlich Horse Klint, ich halte mich bewusst abseits des Pulks der die enge Stelle zwischen zwei Untiefen nutzt, überholt mich eine große Luffe unter Code 0 im Dunkeln und drängt mich dabei nach Lee ab, weil sie meine Höhe unter dem Zero nicht mitgehen kann. Ich sag nix, revanchiere mich für meinen Fehler vorhin, falle ab und lass ihn vorbei.
Um die Nordspitze von Fünen segeln wir im dichten Pulk gegen 20:00 bei 8-10 kn Wind. Der dreht freundlicherweise auf West, so dass aus dem Anlieger nach Ablelö eine Kreuz wird.
Die nächtliche Kreuz nördlich Fünen wird arschkalt, aber wundervoll. Ein Sternenhimmel so absolut und beeindruckend. Wenig Welle und stetige Genuabrise. Immer schön 6-8Kn Wind und 28 Grad AVA steuern, ein wenig auf die anderen achten. Ich geh weiter raus Richtung Samsö während die Perlenkette der Positionslichter sich unter Fünens Küste zieht. Vielleicht wissen die etwas, was mir entgeht - Strom? Winddreher?. Mir egal, ich möchte allein sein unter diesem Himmel mit meinem Boot. Später gesellt sich zu den Sternen noch Meeresleuchten, eine Funkenspur im Kielwasser - magisch. Mitternacht kommt eine Telegramnachricht vom Taktiker Kai, am Tresen: mach den Streckbug, jetzt!. Er verfolgt das Ganze am Tracker, schön! Wenn nur die Füße nicht so kalt wären. Außerdem muss ich von der Wachhaltecola ständig pissen, was mit Aufwand verbunden ist. Unter Deck muss ich alles ausziehen, um auf Klo zu gehen. Also doch ans Achterstag stellen? Soll man ja nicht, besonders nicht allein und nachts. Ich pick mich ein und mach es trotzdem.
Überhaupt, Sicherheit: ich vertraue weniger auf den Lifebelt, wenn ich allein unterwegs bin. Das funktioniert nämlich nur, wenn ich am Lifebelt nicht über Bord gehe, was auf einem 30 ft Schiff kaum zu gewährleisten ist. Ich habe mal ausprobiert, wie das ist, wenn ich mit Schwimmweste am Lifebelt seitlich über die Reling hänge - die Chance allein ohne fremde Hilfe wieder an Deck zu kommen ist gleich Null. Stattdessen wird man vom Schiff unter Autopilot weitergeschleift. Mein Konzept für Mai bis September in der Westlichen Ostsee ist, konsequent Rettungsweste und darin einen Satellitennotsender (PLB / EPIRB) zu tragen. Sollte ich über Bord gehen, wird nach ein paar Minuten das MRCC alarmiert und bekommt meine Position. Wenn ich am Lifebelt über Bord hänge, kann ich vielleicht gar nichts mehr tun, auch keinen Sender aktivieren.
Abelö ist erreicht, es ist drei Uhr morgens, nun müsste ein Anlieger mit Schrick uns entspannt bis Fredericia bringen. Weit gefehlt - der Wind dreht gegenan auf SW und flaut ab auf 2-4kn. Zusätzlich spuckt der Sund von Middelfahrt ordentlich nordsetzenden Strom. Mir ist kalt und es beginnt eine mühsame Kreuz. Das Boot läuft unter Genua fast Windgeschwindigkeit, aber der Kreuzwinkel wird dadurch und durch den Gegenstrom immer flacher. Das Boot kann 28 Grad AVA, aber TWA wandert immer weiter querab, Insgesamt zeigt der Plotter einen Wendewinkel von vielleicht 120 Grad. Da ist nicht mehr viel Luv zu machen -merde!
Es ist kurz vor Dämmerung und im leergeräumten (wegen des Gewichts) Bootsinnern gluckert es wie in einem Geigenkasten. Ich habe das Gefühl, Radiostimmen zu hören. Hier ist aber kein Radio. Hat eines der anderen Boote Radio an? Die Stimmen bleiben, auch wenn kein anderes Boot in der Nähe ist. Es muss das Gurgeln und Gluckern sein - wie fühlt sich die zweite Nacht ohne Schlaf an - kommt dann der Klabautermann? Andere berichteten, dass sie in der zweiten Nacht Leute an Bord gesehen haben.
Oben im Sternenhimmel sehe ich gegen fünf Uhr eine lange Reihe von Sternen in regelmäßigem Abstand schnell über den Himmel ziehen. Wie 20, 30 Flugzeuge in Formation. Ich schaue immer wieder hin und kann mir das nicht erklären. Eine Halluzination? Ist Trump endgültig durchgedreht und schickt Raketen nach Russland? Ich zwinge mich, wegzuschauen und mich wieder aufs Segeln zu konzentrieren. Zuhause erklärt mir mein Sohn, dass es sich um die Internet- Satelliten von Elon Musk handelt. 650 hat er schon im erdnahen Orbit und es sollen bis zu 40.000 werden. Das wird dann ja ein lustiges Treiben am Himmel....
Kurz vor Fredericia wird es hell. Schöner Sonnenaufgang. Schau, wer um dich herum ist! Die Dehler 30 OD ist immer noch da und hinter mir. Viele Seascape 27, ein paar Minis. Sonst keine Boote aus Keelboat small oder Mini.
Am Gate bei Strib bin ich auf Platz 28 von 100 der gestarteten Keelboat medium. Das ist als kleinstes Boot der Gruppe ein guter Platz.
Windfinder sagt für Samstag und Sonntag umlaufende Totalflaute voraus. Die breitet sich hier am Eingang des Fahrwassers nach Middelfart auch aus. Alle Boote schleichen am Ufer entlang in der Hoffnung, im Nehrstrom dem Gegenstrom zu entkommen. In einer kleinen Gruppe, versuchen wir, um die Ecke eines Piers zu kommen. Dahinter schlägt der Gegenstrom erbarmungslos zu. Noch zwei Knoten Wind von vorn und 2,5 Knoten Gegenstrom. Die Seitwärtsbewegung ist schneller als die Vorwärtsfahrt. Chancenlos. Vorne zwischen Brücke 1 und 2 ankert das Spitzenfeld im Strom, um nicht rückwärts wieder aus dem Sund gespült zu werden. Boote drehen sich im Strom mit schlaffen Segeln, andere schleichen auf Parallelkurs aber auf jeweils anderem Bug. Crazy.
Ich bin grundgenervt von der Scheissflaute und dass wir ausgerechnet zum ablaufenden Wasser hier vorbeikommen. Die Ostsee hat zwar nur einen ganz geringen Tidenhub, aber all das Wasser will hier durch, so scheint es.
Wenn ich die kommende Nacht irgendwo schlafen und Sonntagabend wieder in HH sein will, dann wäre jetzt der logische Punkt, abzubrechen sich unter Motor auf den langen Weg zu machen. Svendborg Samstagnacht zu erreichen ist aussichtslos, selbst das Zeitlimit Sonntag 12:00 Uhr ist kaum zu erreichen. Das war der Punkt, den ich mir gesetzt habe. Aber keiner der anderen bricht ab. Ich zögere, schiebe die Entscheidung auf und fühle mich als Weichei. Dann denke ich, Midlife Crisis ist vorbei, du musst dir nichts beweisen, machst das, um Spass zu haben.
Und ich melde mich ab. Motor an, Segel einpacken und etwas genierlich dampfe ich mit 6,5 Kn Fahrt durchs Wasser und 3,5 Knoten über Grund gegen den Strom, vorbei an den vielen ankernden Teilnehmern aus der Spitzengruppe. Die Herausforderung ist jedes Mal Middelfahrt. Letztes Jahr habe ich bei etwas weniger Flaute und Strom drei Stunden kreuzend und quälend langsam unter den Brücken verbracht. Diesmal ist es viel schlimmer.
Dann bin ich allein, motore in den Morgen und einen sonnigen Tag über den spiegelglatten Belt bis zur Insel Lyö, die ich am Nachmittag erreiche. Ich entscheide mich, für die Nacht dort zu bleiben. Wunderschöner Abend, Füße hoch, ahh! Vor der Dunkelheit laufen noch vier weitere Teilnehmer unter Motor ein. Auch am Morgen entwickelt sich Lyö zum Asyl der gefallenen Seehelden. Um 7:00 Uhr herrscht dichter Nebel. 7 oder 8 Teilnehmer sind inzwischen hier. Einer, der eben erst einlief, erzählt, dass er sich in der zweiten Nacht und in Nebel und Flaute einfach nicht mehr auf Steuern und Ausschau konzentrieren konnte. Und dann sind da noch die Fähren von Fynshavn. Zu gefährlich.
Sonntagmorgen ein zauberhafter Start im dichten Nebel von Lyö aus. Kein Wind. Immer noch nicht. Ganz langsame Fahrt. Die Sonne zeichnet sich als fahle Scheibe ab. Erinnert mich ans Hochgebirge. Aus dem Nebel tauchen schattenhaft einzelne Segler auf. Wir tuten in unsere Tröten. Plötzlich vor mir die Lyöfähre, netterweise auch in Schleichfahrt zieht sie in 50m Entfernung vorbei und verschwindet wieder. Aus dem Nebel schält sich ein Mini unter Segeln. Ich halte darauf zu und die junge Skipperin fragt, wo es denn nach Svendborg geht. Ihr Plotter sei ausgefallen. Ihr Motor liegt in Svendborg, Gewicht. Geschleppt werden will sie nicht, sie will das Zeitlimit schaffen und hätte ja noch ein paar Stunden. WOW! Nachzwei Nächten Flaute. Ich zeige ihr den Kurs zur grünen Tonne vor Avernakö und wünsche ihr Glück, wir verschwinden wieder im Nebel.
Zwischen Lyö und Avernakö tauche ich aus dem Nebel. Lyö liegt halb im Sonnenschein, halb vom Nebel verschluckt. Was für ein Bild. Tolkien, Trolle, Inseln im Nordmeer geht mir durch den Kopf.
Auch der Mini taucht aus dem Nebel - dann ist sie jetzt safe und wird den Weg finden.
Der Nebel geht, der Wind kommt. Sanfte 8kn bringen uns unter Gennaker nach Maasholm. So sehr ich die Flaute und Kälte verflucht habe, so schön und besonders sind auch die Bilder, die von diesem Silverrudder bleiben. Später lese ich, dass von 300 Starter*innen nur weniger als 30 in Svendborg angekommen sind. Von meiner Startgruppe drei von hundert. Die Allermeisten haben auch unter den Brücken von Middelfahrt oder schon nördlich von Strib geschmissen.
Der Weg ist das Ziel.